wir brauchen einander- warum es Beziehung braucht, um Trauma zu begegnen


Liebe_r* Reader

«Mut ist nicht immer ein Brüllen. Manchmal ist Mut die leise Stimme am Ende des Tages, die sagt:

«Ich werde es morgen wieder versuchen.» (Mary Anne Radmacher)

Wir leben in einer traumatisierten Welt. Eine Freundin sagte mal resigniert, ihr gehe es mit dem Trauma so wie mit dem Aufräumen: Man komme nicht hinterher. Es brauche so viel Mühe, so viel Therapie, so viel Hilfe, so viel Hand ausstrecken, so viel Zeit, um dem Trauma zu begegnen, und in der Zeit entstehe schon so viel neues Trauma. Was Menschen sich alles antun können. Es kann einen manchmal ein bisschen hoffnungslos machen, und doch: Ähnlich wie beim Aufräumen bleibt uns nicht viel Wahl, wollen wir in einer Welt leben, in der wir das Gefühl haben, dass wir uns dort gerne aufhalten, die wir gerne bewohnen, in der wir Dinge in der Hand haben, die lebenswert, und in der wir uns und anderen gut begegnen können.

Trauma ist oft nicht das, was wir erleben, sondern die Fülle der Reaktionen, die auf das traumatische Ereignis folgen, die uns begleiten, oft lange, lange Zeit. Und wenig davon ist uns bewusst zugänglich, so dass wir drüber reden könnten, selbst wenn wir wollten. In unserem Nervensystem, in unserem Unbewussten, in unserem Körper «hängen» diese Erfahrungen. «The body keeps the score», sagt man im Englischen, und sie produzieren eine Mischung aus Erstarrung und Stress, die ein teurer Modus für unseren ganzen Körper ist, für unsere Seele sowieso. Überleben wird wichtiger als Leben, Schutz wird wichtiger als Lebendigkeit, Isolation wird wichtiger als Beziehung, weil diese nicht als sicher erlebt werden kann. Doch: wir brauchen einander!

Ein traumatisches Ereignis wird beschrieben als etwas, das unsere in dem Moment vorhandenen Möglichkeiten übersteigt, es zu bewältigen. Es kann einmalig sein und häufiger und weniger zugänglich, eine Reihe von Ereignissen über einen langen Zeitraum, in einer Zeit, als wir noch weniger Grenzen und Möglichkeiten hatten, zum Beispiel in der Kindheit. Solche Traumata nennt man Bindungstrauma.

Das Krux ist: Wir brauchen Bindung, sie ist der einzige Ort, an dem Wir heilen können. Wir sind Bindungswesen, aber genau diese Orte der Bindung, an denen wir Erfahrungen "überschreiben" könnten, sind so schwer aufzusuchen wegen des Misstrauens, das tief in uns sitzt. Wir sind so mit Überleben beschäftigt, mit der Suche nach Schutz. Jede Lebendigkeit kann Angst auslösen, wird sie doch in unserem Körper mit Bedrohung verwechselt. Wir sind in einer ständigen Mischung aus Stress und Erstarrung, das Trauma hängt fest in unserem Nervensystem. Und trotzdem: da ist ein Ort in uns, unser Selbst, der immer unverwundet ist, den es gilt, wiederzufinden, der grösser ist als das, was passiert ist. Von dem aus es möglich ist, uns wieder zu verbinden, mit anderen, mit uns Selbst, mit der Hoffnung, mit dem Urvertrauen.

«Was hinter uns liegt und was vor uns liegt, ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was in uns liegt» (R. W. Emerson).

Singen kann uns zu diesem Ort bringen, behaupte ich. Singen führt uns in einen inneren Raum, in dem wir uns sicher fühlen. Wir lösen uns nicht auf in diesem Raum, wir sind in einem psychisch-psychisch-sozialem Heilraum.

Wir können uns nachnähren, wir können lernen, uns selber zu regulieren, uns zu beruhigen. Wir können lernen, dass Bindung nicht gefährlich sein muss, dass ich mich in einem Raum bewegen darf, in dem erstmal alles sicher und gehalten ist –durch den Rhythmus, die Struktur, die Stimme; dass ich mich bewegen darf, wie ich möchte.

Ich darf meine Erstarrung aufweichen, darf in die Bewegung kommen, langsam, Muskel für Muskel, Zittern für Zittern, Schritt für Schritt, Melodie für Melodie.

Ich darf meinen Körper wahrnehmen, und ein Teil von mir macht das von alleine – ich muss mich nicht anstrengen.

Mein Nervensystem erlebt immer wieder, in Dauerschleife, getragen von Musik: «Hier bist Du sicher, hier darfst Du selber allen Abstand bestimmen, hier hast Du es in der Hand“.

Wir bekommen Zugang zu dem Selbst dahinter, unserem Kernselbst, dem Teil in uns, der heil, unverwüstbar, und unzerstörbar ist.

Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht eindringt (Rumi)

Wer mehr über dieses Thema erfahren möchte und kurzentschlossen ist: es gibt noch ein paar freie Plätze (12.9.-14.9.2025) im Harz zum Seminar „Singen und Trauma“; es ist ein Weiterbildungswochenende der singenden Krankenhäuser und offen für alle Interessierten (eine gute Selbstregulation ist Voraussetzung). Es wird von meinem geschätzten Kollegen Thomas Jüchter aus Hamburg und mir geleitet. ​

Alle regelmässigen Singgruppen finden live und hybrid wöchentlich statt (Ausnahme 24/25.9.)

Im November (1/2.11.2025) gibt es unser nächste Stadtretreat fürs vertiefte Eintauchen in die Singerfahrung! (Frühbucherinnenrabatt endet am 15.9.)


Wie immer freue ich mich auf Euch!

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Kordula Voss (sie/ihr)
Dipl.Musiktherapeutin

Weiterbildung/ Singleitung (singende Krankenhäuser)

Gestalttherapeutin

Yogalehrerin
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